Mit diesem aktuellen höchstrichterlichen Urteil wurde die Klage eines Jungen aus Marokko auf Einreise nach Deutschland zum Zwecke der Adoption abgewiesen. Der annehmenden Mutter, einer Deutschen marokkanischer Herkunft, wurde die Kafala für das Kind in Marokko übertragen. Die deutsche Botschaft weigerte sich jedoch, das Kind zur Mutter an deren deutschen Wohnsitz reisen zu lassen. Die Frau klagte daraufhin.
Das Bundesverwaltungsgericht legte nun in dritter (und letzter) Instanz fest, dass ein Visum zum Zwecke der Adoption eines Kindes aus dem Ausland grundsätzlich nur dann von den Auslandsvertretungen erteilt werden dürfe, wenn zuvor ein internationales Adoptionsvermittlungsverfahren von Seiten deutscher Jugendbehörden erfolgreich durchgeführt worden sei. Das gebiete das Kindeswohl.
Das Urteil dürfte Grundsatzcharakter haben. Es kann dabei noch kaum abgesehen werden, welche praktischen Konsequenzen diese Entscheidung für künftige Anträge von Kafala-Eltern auf Aufnahme und Einreise eines Kindes aus einem islamischen Land haben wird. Denn mit dieser Entscheidung fällt nun den Jugendbehörden (und nicht mehr den Ausländerbehörden) eine relevante Ermessensentscheidung zu. Die Jugendbehörden haben zwar nach aktuell gültiger Rechtslage eine gesetzliche Verpflichtung zur Überprüfung der (allgemeinen) Elterneignung und zur Durchführung einer Adoptionsvermittlung nach dem Adoptionsvermittlungsgesetz – und das auch für Kinder aus Nichtvertragsstaaten, wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in der Vorinstanz (s.u.) sowie das Verwaltungsgericht Hamburg (s.u.) zweifelsfrei festgestellt haben. Dennoch sind neue Probleme bei der Familienzusammenführung vorprogrammiert. Denn die Jugendbehörden haben erfahrungsgemäß ein großes Interesse daran, das Vermittlungsprocedere an den formalen Vorgaben des Haager Adoptionsübereinkommens von 1993 zu orientieren, dem Abkommen also, dem bislang – mit Ausnahme der Türkei – kein einziger islamischer Staat beigetreten ist.
Das Problem der Einreise von Adoptivkindern aus islamischen Staaten wird sich aller Voraussicht nach auch weiterhin stellen. Ein beunruhigender Gedanke, man muss sich nur einmal den vorliegenden Fall vor Augen halten: Es handelt sich um ein Kind, das in einem Waisenhaus lebt. Der erste Gerichtsbeschluss in dieser Sache wurde im März 2007 erwirkt, also vor knapp vier Jahren. Wobei die Mutter sich zu diesem Zeitpunkt erfahrungsgemäß bereits seit geraumer Zeit um die Familienzusammenführung bemüht haben wird. Inzwischen ist das Kind also zwölf Jahre alt und muss immer noch auf das Zusammenleben mit seiner Adoptivmutter warten. Es ist schwer, einen Sinn darin zu sehen, beständig ein abstraktes Kindeswohl einzufordern, wenn gleichzeitig das konkrete Kindeswohl geopfert wird.
Der Verweis des Gerichts auf das bevorstehende Inkrafttreten des Haager Kinderschutzabkommens von 1996 ist nur ein schwacher Trost. Denn das in Aussicht gestellte zwischenstaatliche Verfahren, das künftig für die Inpflegenahme von Kindern auf der Grundlage der Kafala angewandt werden kann, gilt vorrangig nur für Marokko, dem bislang einzigen islamischen Vertragsstaat dieses Abkommens. Immerhin besteht nun die Hoffnung, dass das deutsch-marokkanische Verfahren wenigstens diesem marokkanischen Kind rasch zur Einreise verhilft und der Mutter weitere bürokratische Qualen erspart bleiben. Natürlich besteht auch die Hoffnung, dass das „marokkanische Modell“ eine Vorreiterrolle für ähnliche Fälle übernimmt. Es ist wirklich an der Zeit, dass der Knoten endlich platzt und damit weitere Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Familien verhindert werden. Ansonsten bleibt nur noch der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts
Das Urteil im Volltext
Pressekommentar der taz